“Du bist, was du isst”
Bevor wir die LAMA2-Diagnose für Arthur erhielten, habe auch ich in Schubladen gedacht: gesund VS krank, “normal” VS behindert. Doch das Leben ist komplex und voller Graustufen, und genauso verhält es sich mit Gendefekten und chronischen Beeinträchtigungen. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Und darauf, was man für sich persönlich aus der Diagnose macht.
Entsprechend habe ich von vornherein nicht versucht, Arthur an dem Tempo zu messen,welches gesunde Kinder für verschiedene motorische Meilensteine benötigen. Mir war klar, dass er vieles davon nur verspätet erreichen würde. Oder einiges womöglich gar nicht. Für uns als Familie zählte daher immer, dass es überhaupt irgendwie weitergeht, und dass es keinen Stillstand gibt. Denn auch Kinder mit Handicaps, und natürlich auch LAMA2-Kinder, entwickeln sich – in ihrer ganz eigenen Geschwindigkeit.
Gleichzeitig wollte und will ich jedoch die bestmöglichen Bedingungen schaffen, damit Arthur trotz seiner Beeinträchtigung das Maximum an Mobilität und Selbstwirksamkeit herausholen kann. Physiotherapie, Ergotherapie oder in manchen Fällen Logopädie – all das sind wichtige Fördermaßnahmen. Zur Gesunderhaltung und Steigerung der Muskelmasse bedarf es jedoch eines weiteren Bausteins, der zumindest bei unseren Terminen mit dem SPZ oder dem Kinderarzt wenig Beachtung fand: Ernährung.
Unmittelbar nach der Diagnose (Arthur war damals 10 Monate alt) entschieden wir, dass eine gesunde, ideal ausgewogene Ernährungsweise bei Arthur zum wichtigsten Therapieelement werden sollte. Wenn das Kind im Rahmen von Physio- oder Ergotherapie Muskeln aufbauen und Bewegungsmuster erlernen soll, dann muss schlicht weg die Versorgung mit Nährstoffen stimmen. Mehr noch: Da unsere Kinder durch die chronische Entzündung, die in ihren Muskeln wütet, ständig Muskelmasse verlieren und diese mühsam neu aufbauen müssen, braucht es im Grunde die Ernährung eines Hochleistungssportlers. Frisch selbstgekocht, möglichst Bio, nährstoffdicht.
Also achten wir seitdem massiv auf eine hohe Zufuhr an hochwertigen Proteinen (tierisch & pflanzlich), guten Fetten (insbesondere Omega-3), Ballaststoffen und komplexen Kohlenhydraten, und natürlich antientzündlich wirkenden Lebensmitteln. Diese Ernährungsweise beinhaltet auch, dass Arthur bisher kaum Kontakt mit hochverarbeiteten Lebensmitteln und “klassischen” Süßigkeiten hatte. Denn Zucker verstärkt die entzündlichenProzesse im Körper und wirkt als regelrechter Brandbeschleuniger, wenn es um Muskelabbau geht.
Verzichten muss Arthur dabei allerdings ganz und gar nicht. Süße aus Früchten, Datteln oder beispielsweise Yaconsirup können wunderbare Alternativen sein. Allgemein hat unsere Reise durch die gesunde Ernährung unsere ganze Familie ungemein bereichert – um neues Wissen und um ganz viel Genuss. Aktuell koche ich mich quasi einmal durch die ganze Welt: Gestern eiweißreiche Vollkorn-Pancakes mit Beeren, heute ein mexikanisches Frühstück aus Eiern, schwarzen Bohnen, Tomate und Avocado. Morgen dann eine asiatische Gemüsepfanne mit Erdnusssauce und Kurkuma. Unserer Inspiration sind keine Grenzen gesetzt.
Und Arthur? Der ist nicht nur ein hervorragender Esser und holt sich alles vom Teller, was er im Kampf gegen die LAMA2-Erkrankung braucht und was ihn täglich stärker macht. Er hat in den vergangenen 2,5 Jahren auch massiv aufgeholt. Damals, mit 10 Monaten, konnte er nicht einmal frei sitzen. Heute, mit gut 3 Jahren, läuft und krabbelt er fast wie ein regelentwickeltes Kind. Seine bisherige Entwicklung hat nicht nur die der Ärzte, sondern auch unsere eigenen Erwartungen übertroffen. Auch seine Blutwerte haben sich seit Beginn unserer ganz eigenen Therapie stetig und mittlerweile drastisch verbessert (allen voran der CK-Wert). Von daher sind wir optimistisch, dass weitere Meilensteine wie Treppensteigen, Rennen oder Springen auch noch folgen werden. Irgendwann, in Arthurs ganz eigenem Tempo.
Natürlich kann und möchte ich unsere ganz persönliche Erfahrung nicht einfach allen LAMA2-Betroffenen überstülpen. Es gibt unzählige Mutationen auf dem LAMA2-Gen, sehr variable Verläufe und wie bereits eingangs gesagt: es kommt immer auf den Einzelfall an.Und darauf, was man für sich persönlich aus der Diagnose macht. Ich kann nur so viel beisteuern: Die Prognosen, die diese Erkrankung mit sich bringt, mögen beängstigend und ausweglos erscheinen. Doch zugleich ist das Potenzial, das man selbst im Kampf gegen die Krankheit in der Hand hält, sehr viel größer, als man es vielleicht für möglich gehalten hätte.

