Lama2

Die LAMA2-assoziierte kongenitale Muskeldystrophie Typ 1A (MDC1A) ist eine genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankung, die durch Mutationen im LAMA2-Gen verursacht wird. Dieses Gen codiert für die Laminin-Alpha-2-Untereinheit (Laminin-α2), eine essenzielle Komponente des Laminin-211-Proteins, das in der Basalmembran von Muskel- und Nervengewebe vorkommt.

MDC1A ist die häufigste kongenitale Muskeldystrophie und zeigt ein breites Spektrum an Symptomen.


Pathophysiologie

Bei dieser Erkrankung spielt eine Dysfunktion des Proteins Laminin-211 eine entscheidende Rolle. Laminin-211 ist ein heterotrimeres Glykoprotein, das aus drei Untereinheiten besteht: einer α2-, einer β1- und einer γ1-Kette. Die α2-Untereinheit (Laminin-α2), welche eine zentrale strukturelle und funktionelle Komponente darstellt, wird durch das LAMA2-Gen codiert. Mutationen in diesem Gen führen zu einer gestörten Synthese oder Funktion von Laminin-α2 und sind ursächlich für die Pathogenese der Laminin-α2-assoziierten kongenitalen Muskeldystrophie.

Rolle von Protein Laminin-211

  • Laminin-211 ist essenziell für die Stabilität und Funktion der Basalmembran, die eine stützende Schicht um Muskelfasern bildet.
  • Es vermittelt die Verbindung zwischen Muskelzellen und der extrazellulären Matrix und spielt eine Rolle bei der Zelladhäsion, Signalübertragung und Gewebereparatur.
  • Wird auch Merosin genannt.

Folgen von Lama2-Mutationen

  • Mutationen im LAMA2-Gen führen zu einem Defekt oder Fehlen des Laminin-211-Proteins.
  • Die Basalmembran wird instabil, was zu einer gestörten Muskelentwicklung, erhöhter Muskelfaserzerstörung und unzureichender Regeneration führt.
  • Die Funktion peripherer Nerven kann ebenfalls beeinträchtigt sein, da Laminin-211 in der Myelinscheide (Markscheide) von Nervenfasern vorkommt.

Symptomatik der MDC1A

Die MDC1A tritt typischerweise bereits im Säuglingsalter auf und zeigt ein breites Spektrum an Symptomen, deren Schweregrad vom Ausmaß des Laminin-Mangels abhängt.

Häufige Symptome
  • Muskelschwäche, besonders der Hüft-, Oberschenkel- und Schultermuskulatur
  • Muskelhypotonie („floppy baby“-Syndrom)
  • Gelenkkontrakturen durch verkürzte Muskeln, die die Gelenkbeweglichkeit einschränken
  • frühzeitige Wirbelsäulensteifigkeit
  • Skoliose
  • Atemprobleme durch schwache Atemmuskulatur, erhöhtes Infektionsrisiko
  • Neurologische Auffälligkeiten in einigen Fällen, z. B. Sensibilitäts- oder Koordinationsstörungen
  • Verzögerte motorische Entwicklung, erschwerte Fähigkeit zu sitzen, stehen oder gehen
  • verschiedene Arten von epileptischen Anfällen
  • charakteristische diffuse Veränderungen der weißen Substanz in der Magnetresonanztomographie (MRT)
Schweregrade der Erkrankung
  • Schwere Verlaufsformen (vollständiger Laminin-211 Mangel): Es besteht keine Fähigkeit zur selbstständigen Fortbewegung, die Kopfkontrolle ist nicht vorhanden. Die Betroffenen sind auf Hilfsmittel wie Rollstuhl, Stehtrainer oder Atemunterstützung angewiesen. Zu den klinischen Merkmalen zählen ein schwacher Schrei bei der Geburt, eine ausgeprägte muskuläre Hypotonie sowie stark eingeschränkte Spontanbewegungen. Zusätzlich treten im Verlauf eine Beteiligung der Gesichtsmuskulatur, der Zunge sowie eine Einschränkung der Augenbewegungen auf.
  • Mildere Verlaufsformen (teilweiser Laminin-211 Mangel): Eingeschränkte, aber eigenständige Bewegungsfähigkeit, teilweise ohne Hilfsmittel.
  • Individuelle Verläufe zwischen diesen Extremen mit variierenden Beeinträchtigungen.

Diagnose

Die Diagnose erfolgt durch eine Kombination aus klinischen Untersuchungen und speziellen Tests:

  • Klinische Untersuchung: Frühe Symptome wie Muskelschwäche und Kontrakturen geben erste Hinweise.
  • Muskelbiopsie: Nachweis einer verminderten oder fehlenden Laminin-211-Expression in der Basalmembran.
  • Genetische Tests: Bestätigung der Erkrankung durch den Nachweis von Mutationen im LAMA2-Gen.
  • Bildgebende Verfahren (MRI): Erkennung struktureller Muskelveränderungen.
  • Elektrophysiologie: Untersuchung der Nervenleitgeschwindigkeit bei peripheren Nervenschädigungen.

Vererbungsmuster

MDC1A wird autosomal-rezessiv vererbt

  • Beide Elternteile müssen eine fehlerhafte Kopie des LAMA2-Gens tragen, sind aber selbst meist gesund (sie sind stille Träger).
  • Ein Kind erkankt nur, wenn es von beiden Eltern jeweils eine mutierte Genkopie erhält.
  • Wenn nur eine mutierte Kopie vererbt wird, ist die Person Träger der Mutation, aber nicht selbst erkrankt.

Es sind seltene Fälle bekannt, bei denen ein Kind an MDC1A erkrankt, obwohl nur ein Elternteil nachweislich Träger ist. Das ist möglich wenn:

  • das Kind eine Mutation von einem Elternteil geerbt hat, und
  • eine zweite spontane (de-novo) Mutation im LAMA2-Gen des Kindes ist aufgetreten. Diese wurde nicht von den Eltern vererbt, sondern entstand zufällig entweder während der Embryonalentwicklung des Kindes oder bereits in einer der Keimzellen (Eizelle oder Spermium) eines Elternteils.

Therapie

Derzeit existieren keine heilenden Therapien für LAMA2-MD, jedoch laufen präklinische Studien.

Symptomatische Behandlung
  • Physiotherapie & Ergotherapie: Erhaltung der Muskelbeweglichkeit und Vermeidung von Kontrakturen sowie Förderung der Beweglichkeit und Muskelkraft.
  • Orthopädische Hilfsmittel: (Unter dem Punkt xxyy können Sie über die Homepage „finifuchs“, welche sich auf die Information von Versorgungsmöglichkeiten über Hilfsmittel spezialisiert hat, eine gut sortierte Übersicht dieser und von möglichen Sanitätshäusern finden.
  • Atemunterstützung: Bei schwerer Atemmuskelschwäche, oft in Form von nicht-invasiver Beatmung.
  • Ernährungsunterstützung: Bei Kau- oder Schluckstörungen: Anpassung der Ernährung oder Sondenernährung sowie Überwachung von Gewicht und Nährstoffversorgung
  • Logopädie: Bei Sprach- oder Schluckproblemen

Experimentelle Therapien (Entwicklung/Forschung)

Zahlreiche Studien befassen sich mit der LAMA2-assoziierten Muskeldystrophie und verfolgen unterschiedliche therapeutische Ansätze. Einige setzen direkt an der Krankheitsursache an – etwa durch Gentherapie oder Stammzelltechnologien – während andere in späteren Krankheitsstadien eingreifen, beispielsweise durch Protein-Ersatztherapie oder antifibrotische Medikamente. Im Folgenden ein kompakter Überblick über die wichtigsten Forschungsschwerpunkte der letzten Jahre.

Gentherapie

  • Ziel: Ersetzen oder Reparieren des defekten LAMA2-Gens
  • Strategien:
    • AAV-basierte Gentherapie (Adeno-assoziierte Viren)
    • Mini- oder Mikrogen-Konstrukte, die eine kleinere, funktionsfähige Version von Laminin-Alpha-2 liefern sollen
    • Erste präklinische Studien zeigen positive Effekte bei Mausmodellen
    • Ausgewählte Studie:
      • Modalis Therapeutics entwickelt eine epigenetische Gentherapie (MDL-101), die darauf abzielt, die Expression des LAMA1-Gens zu erhöhen, um den Verlust von LAMA2 zu kompensieren. Hier mer dazu lesen.

CRISPR/Cas9-Genomeditierung

Stammzelltherapie

Protein-Ersatztherapie

Anti-Fibrose- oder Anti-Entzündungsmedikamente


Prognose

Die Prognose variiert je nach Schweregrad der Mutation

  • Schwere Fälle: Keine eigenständige Gehfähigkeit, hohe Abhängigkeit von Hilfsmitteln.
  • Mildere Fälle: Längere Mobilität möglich, jedoch fortschreitender Muskelschwund.

Therapie und Unterstützung können die Lebensqualität verbessern.


Forschungsperspektiven

Die LAMA2-assoziierte kongenitale Muskeldystrophie Typ 1A (MDC1A) ist eine komplexe, genetisch bedingte Erkrankung mit schwerwiegenden Auswirkungen, aber fortschrittliche Forschungsansätze eröffnen langfristig Hoffnung auf therapeutische Fortschritte.

Aktuelles zur Forschung und ein differenzierter Zugang zu den einzelnen Ansätzen können Sie auf der Lama2 Homepage einsehen.


Quellen:

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